Am 23. Juli 2024 trat eine von der Struktur- und Genehmigungsdirektion Süd (SGD Süd) erlassene Schutzanordnung in Kraft, die das Befahren der Wasserflächen im Naturschutzgebiet „Fulder Aue – Ilmen Aue“ zwischen dem 1. April und dem 14. Oktober verbietet. Die Verordnung war sofort gültig, Klagen hatten keine aufschiebende Wirkung, Verstöße gegen das Verbot konnten mit Geldbußen von bis zu 50.000 Euro geahndet werden. Jetzt ruderte die Behörde nach massivem Protest zurück.
Das Naturschutzgebiet Fulder Aue–Ilmen Aue befindet sich im Landkreis Mainz-Bingen, Rheinland-Pfalz und wurde 1995 unter Naturschutz gestellt. Das Schutzgebiet umfasst einen Teil der Rheinniederung einschließlich der Inseln Fulder Aue und Ilmen Aue sowie der dazwischen liegenden Wasserflächen. Die Verordnung soll vor allem die empfindlichen Stillwasserbereiche im Naturschutzgebiet vor Störungen durch Bootsverkehr schützen. Laut SGD Süd ist diese Maßnahme notwendig, um den Erhaltungszustand des Natura 2000-Gebietes sowie des EU-Vogelschutzgebietes „Rheinaue Bingen-Ingelheim“ zu sichern.
Zweifel an den Auswirkungen des Bootsverkehrs
Diese Maßnahme traf von Beginn an auf erheblichen Widerstand seitens der Wassersportverbände und weiterer Betroffener. Der Protest kulminierte in einer Informationsveranstaltung am 30. August in Ingelheim, bei der sich der Behördenleiter Prof. Dr. Kopf den kritischen Fragen und Vorwürfen der Anwesenden stellte.
Die Wassersportverbände argumentierten, dass der tatsächliche Einfluss des Bootsverkehrs auf das Naturschutzgebiet gering sei. Aufgrund der geringen Wassertiefe und eines in der Aue liegenden Sperrwerks können z.B. Motorboote nur sehr kleine Teile des Gebiets befahren, um dann dort einen geschützten Ankerplatz abseits des strömungsreichen Rheinfahrwassers zu finden. Auswirkungen auf die dortige Vogelpopulation sind daher kaum möglich. Auch die Wasserschutzpolizei bestätigte, dass die Kontrolle des Gebiets aufgrund der Bedingungen und geringen Wassertiefen schwierig sei. Das wiederum warf die Frage auf, wie realistisch die Durchsetzung des Verbots in der Praxis ist. Das Revier wird in erster Linie von Ruderern, Kanuten, Stand-Up Paddlern und Kajakfahrern befahren.
Die Diskussion wurde durch die Präsentation von Bildern, die angeblich die Notwendigkeit der Verordnung belegen sollten, seitens der SGD Süd weiter angeheizt. Diese Bilder, die beispielsweise eine vermüllte Behausung eines Obdachlosen zeigten, wurden von den Anwesenden als irrelevant und irreführend kritisiert. Die SGD Süd musste daraufhin eingestehen, dass diese Bilder keine Verbindung zum Wassersport zeigten, und nicht mal verifiziert werden konnte, ob diese Bilder überhaupt in dem betroffenen Gebiet erstellt wurden.
Die Anhörung in Ingelheim, an der ca. 80 Personen, darunter Vertreter von Umweltverbänden, Bürgermeister betroffener Gemeinden, Wassersportvereinen und -Verbänden und Mitglieder der Wasserschutzpolizei teilnahmen, verlief entsprechend unruhig und z.T. sehr emotional.
Massive Kritik an der Notwendigkeit und Umsetzung der Verordnung
Die Wassersportverbände zweifeln die Notwendigkeit der Verordnung grundsätzlich an und werfen der SGD Süd zudem mangelnde Sorgfalt in der Vorbereitung und Umsetzung vor. Zumal auch die betroffenen Verbände nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen wurden. Kein Betroffener – selbst die Wasserschutzpolizei, die das Verbot ggf. ja durchsetzen müsste – wurde vorher über die Verordnung informiert und quasi über Nacht überrumpelt.
Der Deutsche Motoryachtverband als Bundesverband für den motorisierten Wassersport unterstützt den direkt betroffenen Landesverband Rheinland-Pfalz sowie die betroffenen Vereine im DMYV in Hessen und Rheinland-Pfalz. So waren unter anderem der Vizepräsident des DMYV und Präsident des Landesverbands Rheinland-Pfalz, Gisbert König und Matthias Schaewitz als juristischer Referent aus der Rechtsabteilung der Duisburger DMYV-Geschäftsstelle bei der Veranstaltung zugegen und beteiligten sich an der Diskussion.
Die Kritik des DMYV richtete sich dabei nicht nur gegen die Verordnung als solche, sondern auch die Art der Umsetzung: „Die Schutzanordnung (…) spiegelt auch eine Verhaltensweise gegengenüber dem Bürger oder dem betroffenen Personenkreis wider aus einer Zeit, als Bürgerfreundlichkeit und Abwägungsgebot und -bereitschaft noch Fremdwörter waren…“, so das Präsidium des DMYV an den Leiter der SGD in einem Brief und ergänzt: „Sie selbst hatten bei der Verleihung der Blauen Flagge 2022 bei den Wassersportfreunden Budenheim in Ihrem Grußwort hervorgehoben, dass man Verständnis für Naturschutz nur entwickeln kann, wenn man Natur erleben kann und lernt, verantwortlich damit umzugehen. Dies ist mit der Realisierung der Allgemeinverfügung vom 23.07.2024 auf keinen Fall möglich…“.
Prof. Dr. Kopf selbst musste einräumen, dass die SGD Süd das Vorgehen nicht optimal vorbereitet habe und dass die Umsetzung der Verordnung teilweise nicht gesetzeskonform gewesen sei, etwa in Bezug auf Fristen. Er betonte jedoch, dass er die Vorgaben der SGD vertreten müsse und die Anordnung nicht zurücknehmen könne, obwohl er selbst Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme erkennen ließ.
Dies wurde unter anderem auch dadurch untermauert, da auch Prof. Dr. Kopf zugeben musste, dass das seit langem bestehende Befahrens-Verbot während der Wintermonate nicht in allen Fällen durchgesetzt werden könne, sodass sich die Frage stellte, ob ein solches Verbot überhaupt eine wirksame Maßnahme darstellt.
Jurist Matthias Schaewitz vom DMYV stellte fest: „Die erlassene Allgemeinverfügung ist nach den Regeln des juristischen Handwerks unzureichend und unter verwaltungsrechtlichen Gesichtspunkten angreifbar. Die Betroffenen wurden mitten in der Wassersportsaison vor nicht nachvollziehbare vollendete Tatsachen gestellt. Das dies nicht widerspruchslos hingenommen wird, hätte der Behörde klar sein müssen.“
Insgesamt 13 Klagen sind beim Verwaltungsgericht Mainz gegen die Verordnung anhängig. Während der Veranstaltung in Ingelheim betonte der Rechtsanwalt der Kläger, Dr. Schmitt, dass die Zuständigkeit für eine solche Verordnung nicht bei der SGD Süd liege, sondern beim Bundesministerium für Digitales und Verkehr (BMDV). Die Frage der Zuständigkeit ist daher auch Gegenstand mehrerer Klagen.